Ist bidirektionales Laden die Zukunft? Das E-Auto als Stromspeicher

  •  

  •  

Lesedauer: 8 Minuten
Beitragsbild für bidirektionales Laden

Mit dem zunehmenden Trend zur Elektrifizierung des Verkehrssektors sind Innovationen im Bereich der Ladetechnologie von entscheidender Bedeutung. Eine vielversprechende Entwicklung ist das bidirektionale Laden, das nicht nur Elektrofahrzeuge auflädt, sondern auch Strom aus dem Fahrzeug zurück ins Stromnetz speisen kann. Diese fortschrittliche Technologie verspricht eine verbesserte Energieeffizienz, Netzstabilität und die Integration von Elektrofahrzeugen in das intelligente Stromnetz. Ein attraktiver Anwendungsfall: Die Photovoltaik-Leistung soll in Sachsen bis zum Ende der Legislaturperiode nahezu verdoppelt werden (siehe Energie- und Klimaprogramm). Bidirektionales Laden klingt da attraktiv: Statt Ladestrom, kann das E-Auto auch gleich als Batterie für die selbst erzeugten, erneuerbaren Energien fungieren. Das E-Auto als mobiler Stromspeicher! Aber ist das wirklich so einfach? Wir erklären, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen und haben mit dem Experten Claudius Jehle vom Batteriediagnoseunternehmen volytica über die Vor- und Nachteile gesprochen.

Inhaltsverzeichnis

Was ist bidirektionales Laden?

Bidirektionales Laden bedeutet, dass Energie durch das Fahrzeug nicht nur aufgenommen, sondern auch wieder abgegeben werden kann. So kann ein Elektroauto als Stromspeicher fungieren.

Wo ist bidirektionales Laden sinnvoll?

Prinzipiell unterscheiden wir bei bidirektionalem Laden drei Anwendungsfälle:

  • Vehicle-to-home (V2H)
  • Vehicle-to-grid (V2G)
  • Vehicle-to-device (V2D) / Vehicle-to-load (V2L)

Vehicle-to-home (V2H): Festspeicher-Alternative für Hauseigentümer?

Bidirektionales Laden ist besonders für Eigenheimbesitzer interessant. Das E-Auto als Stromspeicher kann eine echte Alternative sein: Mit der Photovoltaikanlage auf dem Hausdach kann das E-Auto während der Sonnenstunden überschüssigen Strom speichern, der nicht als Haushaltsstrom verbraucht wird. Wenn nachts keine Energie mehr gewonnen wird, kann ein kompletter Haushalt problemlos über mehrere Stunden mit der Batterieladung des Autos versorgt werden: 11 Kilowattstunden Strom benötigt ein durchschnittlicher 3-Personen-Haushalt in Deutschland. Bei einer Batteriekapazität von 40 Kilowattstunden und mehr ist das keine Herausforderung für eine durchschnittliche E-Auto-Batterie. Diese Art der Nutzung nennt sich Vehicle-to-home oder kurz V2H. Diese Nutzung ist nicht auf die Kombination mit einer PV-Anlage begrenzt, ebenso ist es möglich, Strom, der zuvor an öffentlichen Ladestationen oder an einer Lademöglichkeit am Arbeitsplatz bezogen wurde, später für V2H zu nutzen.

Beitragsgrafik Vehicle-to-home

„Wer seine E-Auto-Batterie so nutzt, kann die Lebensdauer beeinflussen. Es ist nicht immer einfach zu sagen, ob positiv oder negativ“, gibt unser Experte Claudius Jehle vom Batteriediagnoseunternehmen volytica zu bedenken. Die Herstellergarantie für den Akku umfasst zwar häufig acht Jahre – aber nur bei zweckgemäßer Nutzung, also zum Fahren. „Die Batterien sind so ausgelegt, dass sie ihre maximale Lebensdauer bei einem Nutzungsszenario haben, nämlich zumeist bei der die Ladung zu Beginn bei fast 100 Prozent liegt und nur selten unter 30-50 Prozent fällt“, führt Herr Jehle aus. „Bei der Nutzung als Zwischenspeicher für eine Photovoltaik-Anlage und die Verbraucher im Haushalt würde sich die Batterie ganz anders verhalten und könnte schneller Kapazität verlieren.“ Das muss zwar nicht passieren, so Jehle, Hersteller würden solche Szenarien aber erst absichern – oder eben ausschließen. Tesla machte zuletzt Schlagzeilen, als gewisse Vehicle-to-Home-Anwendungen die komplette Garantie der Batterie erlosch. 

Vehicle-to-home kann die Lebensdauer eines E-Auto-Akkus reduzieren.

„Aus Herstellersicht ist das auch verständlich“, erklärt Herr Jehle. „Wenn sie ein Auto verkaufen oder vermieten, wollen sie das Verschleißrisiko des teuersten Ersatzteils, dem Akku, so gering wie möglich halten. Eine neue Batterie kostet den Hersteller viel Geld, wenn sie vor der Garantie ausgetauscht werden muss.“ Geschäftsführer Claudius Jehle muss es wissen: Sein Unternehmen volytica unterstützt Hersteller von Fahrzeugen dabei, den genauen Zustand einer Batterie zu diagnostizieren. Dennoch könnte das Prinzip in den nächsten Jahren Schule machen, wie beispielsweise das PV-Magazine berichtet. Zentral für die Marktreife und den Durchbruch von Vehicle-to-home könnte die Integration bidirektionalen Ladens in die nächste Generation von E-Autos von VW werden.

Vehicle-to-grid (V2G): ist das E-Auto als Stromspeicher fürs Stromnetz realistisch?

Vehicle-to-grid (V2G) ist ein ungleich komplexeres Konzept als Vehicle-to-home. Hierbei werden die ans Netz angeschlossenen E-Autos zum Zwischenspeicher für das gesamte Stromnetz. Ein stark vereinfachtes Szenario erklärt es: Am Vormittag scheint die Sonne und die Photovoltaik-Anlagen und Windkraftwerke speisen Strom in das Stromnetz ein, am Nachmittag ist es jedoch bewölkt. Der überschüssige Strom des Vormittags könnte nun in den stehenden und angeschlossenen E-Autobatterien zwischengespeichert werden. Am Nachmittag können nun die Batterien der E-Autos angezapft werden, die vollgeladen sind, um Eigenheime und Büros mit Energie zu versorgen. Theoretisch ist es so möglich, das Netz zu entlasten und auf die in Zukunft wachsende Anzahl an Elektroautos vorzubereiten. Nicht wenige sehen hier einen zentralen Baustein der Energiewende. Auch andere Konzepte wie etwa die Installation von Batteriespeichern sollen für eine Entlastung der Netze sorgen. 

Was so einfach klingt, ist jedoch eine enorme Herausforderung. Für Netzbetreiber klingt diese Lösung erst einmal attraktiv: Elektrofahrzeuge können als Puffer dienen, um Schwankungen im Stromnetz auszugleichen. Bei hohem Energiebedarf können sie Energie zurück ins Netz einspeisen und somit zur Stabilisierung beitragen. Aber was ist, wenn plötzlich 10 oder 20 Prozent der Fahrzeuge losfahren? Wie kann mit einer vorgehaltenen Menge an Energiekapazität gerechnet werden? Claudius Jehle sieht hier noch großen Entwicklungsbedarf: „Diese Dezentralisierung würde wohl dafür sorgen, dass die Energiespeicher außerhalb des direkten Zugriffs der Netzbetreiber lägen. Die grundlegende Idee ist hervorragend, aber mit enormen Herausforderungen in der Umsetzung verbunden. Die Erfassung der verfügbaren Kapazitäten wäre komplex und eine Steuerbarkeit und Planbarkeit nur schwierig und risikobehaftet möglich. Früher oder später wird V2G definitiv kommen, leider ist die Umsetzung alles andere als einfach.“ Interessanter ist derzeit das Konzept, das bereits im praktischen Einsatz ist: Smart Charging. Hierbei wird automatisiert der jeweils günstigste Strom zum Laden genutzt, bspw. von der eigenen PV-Anlage oder aus dem Stromnetz.

Beitragsgrafik Smart Charging
Beitragsgrafik Smart Charging Mobil

Auch VW-Entwicklungsvorstand Thomas Ulbrich sieht noch viel Abstimmungsbedarf, bevor V2G ein ganz normaler Bestandteil unserer Energie- und Mobilitätswende wird. Er geht laut einem Interview mit dem Handelsblatt davon aus, dass noch „etliche Jahre“ vergehen, bis Vehicle-to-grid zum Alltag gehört. Für VW sei es jedoch interessant, „voranzugehen“ und an einem neuen Geschäftsfeld zu arbeiten. In Zukunft könnten Autobesitzer ihre Fahrzeuge als Speicherkapazität an die Netzbetreiber verkaufen oder vermieten und dafür eine Entschädigung erhalten. Das sei auch deshalb attraktiv, so Ulbrich, weil das das Auto so kein überwiegendes „Stehzeug“ mehr wäre, sondern auch beim Parken eine Funktion erfüllen würde.

VW arbeitet bereits aktiv an der Unterstützung bidirektionalen Ladens.

Bis dahin müssen jedoch noch zahlreiche Hürden abgebaut werden, wie der Verband der Elektroindustrie ZVEI und der Verband der Automobilindustrie VDA in ihrem Positionspapier feststellen:

  • Verteilungsgerechtigkeit: Kostenstrukturen und Netzentgelte müssen so geregelt werden, dass Gruppen & Akteure nicht benachteiligt werden
  • Entwicklung von Anreiz-Systemen wie bspw. attraktive Stromtarife
  • Anpassung rechtlicher Rahmenbedingungen
  • Wirtschaftliche und technische Voraussetzung für einen dauerhaften Anschluss eines E-Autos ans Netz außerhalb der Ladezeiten
  • Zuverlässige und flächendeckende Datenkommunikation zwischen den verschiedenen Marktakteuren vom Auto über Ladeinfrastruktur bis hin zu den Verteilnetzbetreibern

Vehicle-to-device (V2D) / Vehicle-to-load (V2L): Der schnelle Stromhelfer für Offroad Abenteurer

Vehicle-to-device ist die wohl einfachste und direkteste Anwendungsmöglichkeit des bidirektionalen Ladens. Bei dieser Variante befindet sich eine haushaltsübliche Schuko-Steckdose im oder am Elektroauto. Besonders für Offroad-Abenteurer oder Camper kann V2D eine Absicherung sein, essenzielle Geräte aufladen und nutzen zu können.

Wallbox SachsenEnergie

Hier die passende

Wallbox finden!

Ein Angebot für Ostsachsen.

Logo Sachsenenergie-1c

Ist bidirektionales Laden in Deutschland erlaubt?

Es ist zumindest nicht verboten. Die Anwendungsfälle sind derzeit aber sowieso noch begrenzt. Einen großen Schritt in die richtige Richtung war die Veröffentlichung des ISO-15118-20-Standards im April 2022. Hier wurden verschiedene Ideen im Bereich Smart Charging, darunter auch bidirektionales Laden, konkretisiert und standardisiert und bieten so die Grundlage für zukünftigen Geschäftsmodelle. Nun ist die Industrie gefragt, um bidirektionales Laden auch abseits von Pilotprojekten in der Gesellschaft zu etablieren. Auch der Gesetzgeber ist bei der weiteren Ausarbeitung des bidirektionalen Ladens gefragt. Schließlich ergeben sich durch die Nutzung des E-Autos als Stromspeicher für das Eigenheim einige rechtliche Fragen bezüglich Versteuerung und anderer Vorgaben, die ein E-Auto das bisher ausschließlich als Pkw gilt aktuell nicht erfüllen muss.

Welche Vorteile und Nachteile hat das bidirektionale Laden?

Das bidirektionale Laden steckt noch in den Kinderschuhen, auch wenn immer mehr Fahrzeughersteller und Wallbox-Anbieter die Möglichkeit dazu bieten. Derzeit ist es zuallererst für Menschen interessant, die eine Photovoltaik-Anlage betreiben und ein eigenes Haus haben. Wie im Abschnitt zu Vehicle-to-home erklärt, kann das E-Auto als Stromspeicher fungieren. So sinnvoll das klingen mag, müssen Sie dabei dennoch einiges berücksichtigen:

Vorteile von bidirektionalem Laden und V2H

Nachteile von bidirektionalem Laden und V2H

So praktisch bidirektionales Laden, Vehicle-to-home (V2H) und die Nutzung des E-Autos als Stromspeicher auf den ersten Blick klingen mag: Aktuell sollten Sie eher noch Vorsicht walten lassen. In den kommenden Jahren werden die Hersteller möglicherweise mit neuen Batteriegenerationen auch ihre Garantien entsprechend erweitern können. Dann wäre das Risiko für Sie voraussichtlich geringer und die Nutzung Ihres Fahrzeugs durch Vehicle-to-home (V2H) attraktiver.

Diese Voraussetzungen brauchen Sie zum bidirektionalen Laden und Vehicle-to-home

Im vorangegangenen Abschnitt haben wir bereits erläutert, für wen und unter welchen Bedingungen Vehicle-to-home, bidirektionales Laden und die Nutzung des E-Autos als Stromspeicher interessant sein könnte. Aber auch technisch müssen zwei wesentliche Voraussetzungen erfüllt sein:

  1. Ihre Wallbox und ihr Fahrzeug muss bidirektionales Laden unterstützen
  2. Je nach Anwendungszweck ist ein Energiemanagementsystem Voraussetzung

Welche Autos können bidirektional Laden?

Modell Stecker AC / DC Art
Nissan Leaf
CHAdeMO
DC
V2H / V2G (vorbereitet)
Nissan eNV200 *
CHAdeMO
DC
V2H / V2G (vorbereitet)
Mitsubishi * Outlander / iMIEV
CHAdeMO
DC
V2H / V2G (vorbereitet)
Hyundai Ioniq 5 / 6
Schuko
AC (1-phasig)
V2L
Kia EV6 / Niro EV
Schuko
AC (1-phasig)
V2L
MG 4 / 5 / Marvel
Schuko
AC (1-phasig)
V2L
Skoda Enyaq (mit 77 kWh)
CCS
DC
V2H / V2G (vorbereitet)
Volvo EX90
Schuko / Typ 2 / CCS
AC (1/3-phasig) / DC
V2L / V2H / V2G (vorbereitet)
VW ID.3, ID.4, ID.5, ID.Buzz (mit 77 kWh)
CSS
DC
V2H / V2G (vorbereitet)
Polestar 3
Schuko / Typ 2 / CCS
AC (1/3-phasig) / DC
V2L / V2H / V2G (vorbereitet)

*Modell(e) nicht mehr erhältlich.

Quelle: Übersicht via ADAC

Welche Wallboxen unterstützen das bidirektionale Laden?

Die Auswahl von Wallboxen ist groß. In den letzten Jahren haben viele Hersteller Modelle auf den Markt gebracht und bieten für jeden Anwendungsfall und alle Bedürfnisse die passende Hardware. Nur sehr wenige unterstützen jedoch das bidirektionale Laden. Sollten Sie sich dafür interessieren, müssen Sie beim Kauf einer Wallbox also genau hinschauen. Grundsätzlich gibt es aktuell zwei technische Möglichkeiten bidirektionales Laden durchzuführen: Zum einen via CHAdeMO oder CCS Mode-4-Ladesystemen, bei denen Gleichstrom aus dem E-Auto entnommen und mit einer Art externem „Wechselrichter“ in Wechselstrom umgewandelt wird, um ihn so für das Hausnetz nutzbar zu machen und zum anderen via Typ 2 Stecker über den Wechselstrom direkt aus dem E-Auto zurückgespeist werden kann. Die letztere Variante soll in Zukunft durch V2G bzw. V2X durch Anwendung der ISO 15118 umgesetzt werden. Hier besitzt das E-Auto selbst direkt die Funktion des „Wechselrichters“. AC-Wallboxen sind günstiger und werden deutlich häufiger in Eigenheimen verbaut. Nennenswerte Hersteller sind hier beispielsweise MENNEKES oder Walther-Werke, deren Wallboxen Sie natürlich auch über die SachsenEnergie beziehen können. Wallboxen sind für bidirektionales Laden sind u.a. bei folgenden Herstellern erhältlich:

  • Kostal
  • Sono
  • Ambibox
  • dcbel
  • sun2wheel

Fazit: Hat das bidirektionale Laden eine Zukunft?

Das Potenzial des bidirektionalen Ladens ist unbestritten, zum jetzigen Zeitpunkt sind viele Expert*innen allerdings noch skeptisch: Die Rechtslage ist nicht ausreichend geklärt, Auto- und Batteriehersteller haben häufig kein akutes wirtschaftliches Interesse an bidirektionalem Laden und auch die Netzbetreiber halten sich noch zurück. Auch wenn viele vor allem asiatische E-Auto-Modelle das bidirektionale Laden unterstützen, wird es aufgrund der teuren DC-Wallboxen zuhause für die meisten Hausbesitzer vorläufig unattraktiv bleiben.

Perspektivisch könnte sich das jedoch ändern, denn es steckt viel Potenzial im bidirektionalen Laden, in Vehicle-to-home und auch in Vehicle-to-grid. Zusätzliche Speicherkapazitäten könnten bei zunehmender Einspeisung durch Erneuerbare Energie relevant werden. Ob das durch die PV-Anlage zuhause ist, die Solarzellen auf dem Firmengebäude oder für das gesamte Stromnetz – die Akkus von E-Autos können potenziell dabei helfen, das Stromnetz zu stabilisieren und dass Energieüberschüsse nicht verloren gehen. Es lohnt sich also, bidirektionales Laden in den kommenden Jahren weiter zu beobachten.

Ein Beitrag von Marcel Duparré

Beitrag teilen

Leitfaden zum umschalten

Unser Leitfaden

zum Umschalten

Alles was Sie wissen müssen über Förderungen,
Kosten, Best Practice und mehr …

Unser Leitfaden

zum Umschalten

Alles was Sie wissen müssen über Förderungen,
Kosten, Best Practice und mehr …

Leitfaden zum umschalten
Suche

Impressum

Datenschutz